Schaufenster

Spielball  Kunst  Hure

 

Das Schaufenster ist ein Zeichen urbaner Räume. Flüchtig, flexibel aber baulich manifestiert und abhängig von Inhalten. Ein Massenmedium, das durch eine fixierte Präsens eine Gewohnheit und Nichtbeachtung hervorruft, das jedoch durch eine analytische Arbeit eine vielschichtige kulturelle Persönlichkeit eröffnet.

Die Erfindung des Glaswalzens 1688 in Saint Gobain in Frankreich ermöglicht die Produktion von größeren Glasflächen. 90 Jahre später entwickelt sich die Idee der ersten Galerie in Paris am Palais Royal mit der Galerie de Bois. Auf Grund der mittelalterlichen Bestandsbauten in Europa entwickelte sich die Kultur der Schaufenster in Nordamerika. Erst mit dem Einzug des elektrischen Lichtes kam die Idee nach Europa zurück, um unser Konsum und Einkaufsverhalten zu prägen.
Somit wird auch hier deutlich, dass Informations- und Kommunikationsmedien mit technischen Erfindungen gekoppelt sind. Die Begriffe Schaufenster / Galerie stehen hier im Bezug zueinander. Heute sehen wir auf Galerien und sagen Schaufenster und diese prägen die visuelle Kommunikation in der modernen Stadt. Die DNA ist Glas und Licht. Schaufenster sind keine Erfindung autonomer Vorstellungen Einzelner - sie ist ein gesellschaftlicher geteilter Wissensbestand. Eine gesellschaftliche Bestandsaufnahme und Verheißung: Die Verheißung ist geprägt von Attributen wie Glück, Schönheit, Gesundheit, Sicherheit und Neuheit. Es ist wie ein Versprechen an uns, das wir prüfen können und das sich nach Möglichkeit 1:1 präsentiert. Geprägt durch unsere Fähigkeiten als denkende und physische Wesen. Ein weiterer Motor für Schaufenstergalerien war die anlaufende Massenfertigung und Serienfertigung von Produkten. Ein Kausalnexus von sinkenden Preisen und höheren Stückzahlen beginnt, in dem das Schaufenster eine Schlüsselrolle einnimmt und an Wertigkeit verliert.

Mein persönliches Schaufenstererlebnis war die Inszenierung eines Fotos von Olivero Toscani in einem Magdeburger Schaufenster der Firma Benetton 1994. Auf dem Foto war die Kampfmontur des toten kroatischen Soldaten Marinko Grago zu sehen. Trotz schlechter Ausleuchtung und einer hilflosen Gestaltung hat es mich bewegt; bis heute.

Faszinierend für mich ist die Auseinandersetzung Edward Hoppers mit dem Schaufenster. Das bekannteste: „Nighthawks“. Hopper arbeitet in diesem Bild mit viel Licht und großen Glasflächen. Die Bar wirkt wie abgetrennt vom Rest der Welt. Der Bezug zur Außenwelt ist verloren gegangen. Wie ein unsichtbares Ufo in der Nacht wirkt die Bar. Die Gäste, verschworen, leise und abgeklärt.
 Die Beziehung Künstler und Schaufenster ist vielschichtiger als das 1942 gemalte Bild von Hopper. Salvador Dali und Andy Warhol haben als Schaufensterdekorateure ihre ersten Aufträge erhalten. Marcel Duchamp und Robert Rauschenberg haben ihre Arbeit im Schaufenster als intellektuellen Diskurs gesehen und auch in späteren Lebensjahren Ladenauslagen gestaltet. Frank Baumann, auch Schaufensterdekorateur, hat die literarische Vorlage für „Der Zauberer von Oz“ geschrieben und veröffentlichte 1901 das erste Lehrbuch für Schaufensterdekorateure.

Oft verstehen Unternehmen Schaufenster als Pflichterfüllung oder als baulich gegebene Notwendigkeit und verpassen oft die Chance eine Visitenkarte oder Aussage zu fertigen, die eine zweite Ebene zur Ware aufbauen kann.

Einen musealen Charakter haben wir heute oft bei hochpreisigen Produkten und Markenstores und das trägt zur Produktion eines kulturellen Erbes bei. Aber es gibt auch Stimmen, die Schaufenster als Werkzeug der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums beschreiben. Die Kritik geht sogar so weit, in dem Schaufenster als Manipulations- und Verblendungswerkzeuge bezeichnet werden. Sie sind schuld am Verfall der kulturellen Vielfalt und gelten als erstarrte Monokultur. Literarische und philosophische Auseinandersetzungen zum Thema Schaufenster findet man weiterführend unter anderem bei Marx, Adorno oder Dostojewski. Kunstströmungen wie Pop oder Fluxus setzen sich positiv mit dem Medium auseinander und wollten es als Kunstmedium etablieren. Parallel zu dieser Zeit kann man auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs Schaufenster als Spielball anwendungspsychologischer, politischer-propagandistischer und wirtschaftlicher Interessen beobachten.
Psychologen berichten im Zusammenhang mit Schaufenstern von fetistischer Erotomanie, die Personen zu Objekten aufbauen und meint die Verdrängung von erotischen Gefühlen auf ein Objekt. Als interessantes Gedankenspiel der Überlegung ist im französischen Film Noir das Verhältnis zwischen der Hure und dem Flaneur zu finden. Hier können sich die Rollenbilder vom Klischee lösen. Die Ware, der Freier, ist vor dem Schaufenster. Ein dialektischer Stillstand tritt ein.  

Aber wie sehen Zukünfte aus? Was können Schaufenster heute für uns tun? Was ist Informationsqualität und wie könnte der Einzelhandel davon profitieren? Welche Möglichkeiten ergeben sich beim Verbinden von Informations- und Darstellungsmedien? Welche Rollen spielen Schaufenster in der Informationsführung einer Stadt oder in ländlichen Gemeinden?

Der Artikel ist im Rahmen eines Auftrages für den Röderhof e.V. entstanden.

 

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Elisabeth Heinemann hat mir dieses Foto einer Schaufensterauslage geschenkt. Das Motiv hat sie auf dem Berliner Kurfürstendamm entdeckt. Der Shop einer sehr bekannten Marke hatte diese Kombination aus geometrischen Formen und Farben in der Auslage. Farblich eine Explosion und physikalisch nicht möglich. Eine Schaufenster-Inszinierung die nach unten führt, in das Dunkle; paradiesisch, abgründig, erotisch. Dieses Foto erfreut mich täglich und ist ein Baustein zu meinem Nachdenken über Schaufensterkultur.